Pflegereform 2021 / 2022
Das ändert sich durch die Reform wirklich
Die Pflegereform 2021/2022 besteht aus drei Säulen: die häusliche Pflege als erste Säule, die stationäre Pflege als zweite und die bessere Entlohnung für Pflegepersonal als dritte Säule. Unter anderem können Pflegebedürftige seit dem 01.01.2022 mehr Zuschüsse abrufen, um beispielsweise Pflegedienste oder Kurzzeitpflege zu finanzieren. Bewohner in Pflegeheimen zahlen sukzessive weniger Eigenanteile. Außerdem wurde die Versorgung mit Hilfsmitteln vereinfacht.
Bereits zu Beginn des Jahres 2020 wurden ein Eckpunktepapier und ein Arbeitsentwurf angefertigt, in denen die Reformpläne skizziert wurden. Bis zum Inkrafttreten der Reform am 01.01.2022 hat sich am tatsächlichen Inhalt aber vieles geändert. Erfahren Sie jetzt, was sich durch die Pflegereform 2021/2022 tatsächlich verbessert hat. Lesen Sie außerdem, wie Sie alle neuen Zuschüsse und Erleichterungen für die ambulante und stationäre Pflege nutzen können.
Das sollten Sie über die Pflegereform unbedingt wissen:
- Säule I: Pflegereform & stationäre Pflege
- Säule II: Pflegereform & ambulante Pflege
- Säule III: Pflegereform & Pflegepersonal
- Kritik an der Pflegereform
- Expertenmeinung | "Pflegerecht: Reform dringend nötig"
In den häufigsten Fragen finden Sie eine kompakte Zusammenfassung.
Säule I: Pflegereform & stationäre Pflege
Der Bedarf an Pflegeplätzen wird in Deutschland nur etwa zur Hälfte gedeckt. Außerdem sind die immer höheren Eigenanteile für viele Pflegebedürftige nicht bezahlbar. Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede in den Kosten der stationären Pflege. Im Bundesdurchschnitt werden aktuell etwa 2.100 Euro Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim fällig.
Seit dem 01.01.2022 wird ein Leistungszuschlag gewährt, der den Eigenanteil an den Pflegekosten schrittweise verringert. Zuschlagsberechtigt sind Personen mit Pflegegrad 2 bis 5, die dauerhaft stationär in einem Pflegeheim leben. Die Höhe des Zuschlags richtet sich daran, wie lange die pflegebedürftige Person bereits im Pflegeheim wohnt. Angefangene Monate werden als voll angerechnet.
Als Zuschlag werden gezahlt:
- 5 % des Eigenanteils an den Pflegekosten innerhalb des ersten Jahres,
- 25 % des Eigenanteils an den Pflegekosten nach 12 Monaten,
- 45 % des Eigenanteils an den Pflegekosten nach 24 Monaten und
- 70 % des Eigenanteils an den Pflegekosten nach 36 Monaten.
Säule II: Pflegereform & ambulante Pflege
Zum 01.01.2021 wurden die Pflegesachleistungen um fünf Prozent erhöht. Die Pflegesachleistungen werden meist zur Finanzierung von ambulanten Pflegediensten genutzt. Sie können aber auch in einen zusätzlichen Entlastungsbetrag umgewandelt werden, um freier einsetzbar zu sein. Mit den Entlastungsleistungen können Sie zum Beispiel eine Seniorenbetreuung finanzieren.
Der Anspruch auf Pflegesachleistungen besteht für alle Personen mit einem Pflegegrad von 2 bis 5, die in einer häuslichen Umgebung gepflegt werden. Durch die Anpassung der Pflegesachleistungen ändert sich auch die Höhe des umgewandelten Entlastungsbetrags. In der Tabelle finden Sie die neuen Pflegesachleistungen für 2022 und die höchstmögliche Umwandlung:
Pflegegrad | Pflegesachleistungen | 40 % Umwandlung | Gesamtbetrag |
---|---|---|---|
2 | 724 € | 290 € | 415 € |
3 | 1.363 € | 545 € | 670 € |
4 | 1.693 € | 677 € | 802 € |
5 | 2.095 € | 838 € | 963 € |
Kurzzeitpflege: Die neuen Zuschüsse im Überblick
Auch die Leistungen der Kurzzeitpflege wurden mit der Pflegereform zum 01.01.2022 erhöht: 10 Prozent mehr können Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 pro Kalenderjahr für die Ersatzpflege in einer Pflegeeinrichtung abrufen. Im Bundesdurchschnitt liegt der Tagessatz für Kurzzeitpflege derzeit bei etwa 80 bis 100 Euro. Die Erhöhung um 10 Prozent beziehungsweise 162 Euro reicht damit lediglich für ein bis zwei weitere Tage Kurzzeitpflege im Kalenderjahr aus.
Bis 01.01.2022 | Seit 01.01.2022 | |
---|---|---|
Kurzzeitpflege-Budget | 1.612 Euro | 1.774 Euro |
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Säule III: Pflegereform & Pflegepersonal
Als dritte und letzte Säule der Pflegereform 2021 steht die bessere Entlohnung von Pflegepersonal – sowohl stationär als auch ambulant. Demnach sollen zukünftig nur noch Pflegeheime und Pflegedienste eine Zulassung erhalten, die "nach Tarif oder tarifähnlich"1 bezahlen. Eine genaue Definition des Begriffs "tarifähnlich" liegt derzeit noch nicht vor.
Wann und wie bereits zugelassene Pflegedienste und Pflegeheime zu dieser Änderung geprüft werden, ist ebenfalls noch unklar. Bereits 2020 wurde von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die "Konzentrierte Aktion Pflege" (KAP) vorgestellt. "Pflege muss wieder attraktiver werden. Das geht nur mit mehr Personal", sagte Jens Spahn hierzu im November 2020.2 Ein Ziel ist unter anderem die Erhöhung der Gesamtzahl der Auszubildenden um 10 Prozent bis 2024.
Änderungen für Pflegepersonal im Überblick
- Bessere Bezahlung und mehr Verantwortung für Pflegekräfte sollen den Fachkräftemangel lindern
- Bis 2024 soll die "Konzentrierte Aktion Pflege" 10 Prozent mehr Auszubildende hervorbringen
Kritik an der Pflegereform 2021
Besonders pflegende Angehörige fühlen sich von der Pflegereform 2022 im Stich gelassen. Die Erhöhung der Pflegesachleistungen seien ein "Tropfen auf dem heißen Stein" — das hören die Pflegeberater des Verbund Pflegehilfe tagtäglich. "Wir spüren in der Beratung die Enttäuschung der Familien. Sie geben finanziell und körperlich täglich alles und erhalten dafür kaum Anerkennung und Unterstützung von der Politik", so Geschäftsführer Johannes Haas.3
Mit den überarbeiteten Gesetzesentwürfen verschwanden nach und nach viele der geplanten Änderungen wortlos. Pflegebedürftige und pflegende Angehörige fühlen sich von der Bundesregierung im Stich gelassen. Der "größte Pflegedienst Deutschlands", wie pflegende Angehörige oft genannt werden, wurde von der Reform nicht nennenswert entlastet. Das monatelange Warten und die Hoffnung auf eine Besserung in der häuslichen Pflege endet damit für viele Pflegehaushalte Deutschlands in einer finanziellen Sackgasse.
Auch im stationären Bereich ist finanziell gesehen für viele Pflegebedürftige und deren Familien kein Land in Sicht. Laut Berechnungen des vdek (Verband der Ersatzkassen e. V.) belaufen sich die Eigenanteile bei 2.200 Euro pro Monat. Oft sind es neben den einrichtungseinheitlichen Eigenanteilen gerade die sogenannten Hotelkosten, die die Kosten in die Höhe treiben. Der neue Leistungszuschlag ist für die meisten Familien nicht genug, um die massive Kostenbelastung auf ein vertretbares Niveau zu reduzieren.
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Pflegerecht: Reform dringend nötig
Expertenmeinung von Markus Karpinski, Anwalt für Pflegerecht
Die Pflegereform bringt vor allem Änderungen, die die Finanzierung der Pflege betreffen. Reformbedarf gibt es aber auch an vielen anderen Stellen. Markus Karpinski, Anwalt für Pflegerecht, Sozialrecht und Medizinrecht stellte dies bereits vor 15 Jahren fest, als seine Großmutter pflegebedürftig wurde. Schnell merkte er, dass kaum einer seiner Kollegen sich mit dem Bereich Pflegerecht und abgelehnten Pflegegraden auseinandersetzte. Also tat er es. Im Interview erzählt der Experte von den vielen Tücken auf dem Weg von Pflegebedürftigkeit zum Pflegegrad.
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„Es läuft heute besser als vor 15 Jahren“, sagt Markus Karpinski. Die Heraus- forderungen für Pflegebedürftige und Angehörige sind aber weiterhin groß. Seit etwa einem Jahr ist die Zahl der Klienten, die seine Kanzlei aufgrund von abgelehnten Pflegegradanträgen aufsuchen, wieder gestiegen. Der zeitliche Kontext (Anm. der Redaktion: Dieses Interview wurde im August 2021 geführt) lässt auf den ersten Blick einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vermuten. „Mit der Corona-Pandemie hat das glaube ich nichts zu tun“, erwidert Herr Karpinski auf unsere Frage. Er sieht den Grund für die vermehrten Ablehnungen in einem länger zurückliegenden Ereignis:
„Nach der Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs war es lange ruhig“, erzählt der Rechtsanwalt. Zu Beginn des Jahres 2017 wurde mit dem zweiten Pflege- stärkungsgesetz (PSG II) ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, der erstmals auch kognitive und psychische Einschränkungen berücksichtigt. In diesem Zuge wurden die Pflegestufen durch die Pflegegrade abgelöst. „Dadurch kam auf den Medizinischen Dienst unglaublich viel Arbeit zu, ohne dass sie dauerhaft mehr Personal einstellen konnten.“
Markus Karpinski vermutet, dass der Medizinische Dienst in der Übergangsphase aufgrund der gestiegenen Menge an Neuanträgen weniger intensiv prüfen konnte. Heute, mehr als vier Jahre nach dem PSG II, ist dem nicht mehr so. Seit 2017 wird die Begutachtung anhand von sechs Modulen vorgenommen. Psychische Beeinträchtigungen werden vor allem in Modul 3 bewertet. Doch genau hier liegt laut Markus Karpinski in vielen Fällen das Problem: Seiner Feststellung nach fragen viele Gutachter Modul drei nicht ab.
"Meine Feststellung ist, ist dass gerade in dem Bereich des Moduls 3 die Gutachter des medizinischen Dienstes sehr häufig nicht fragen, also die Fragen, die da sind, erst überhaupt nicht stellen."
Markus Karpinski, Anwalt für Pflegerecht
In Modul 3 Verhaltensweisen und psychische Problemlagen geht es unter anderem um Thematiken wie Ängste, selbstschädigendes Verhalten, Alpträume und depressive Verstimmungen. „Diese Fragen werden oft nicht gestellt.“ Dabei ist gerade die Kombination aus den körperlichen und den psychischen Beeinträchtigungen eine immense Belastung. Doch nicht nur hier sieht der Rechtsanwalt Probleme. Auch die Ablehnung von Widersprüchen durch die Pflegekassen hat seiner Meinung nach System:
"Das ist ein Weg, Geld einzusparen, und wenn sie nur ein paar Monate einsparen [...] das hat System. Das ist kein Zufall."
Markus Karpinski, Anwalt für Pflegerecht
Wird der Widerspruch abgelehnt, ist der nächste Schritt die Sozialklage. „Die meisten machen das nicht“, schildert Herr Karpinski. Außerdem raten die Pflege- kassen den Antragstellern meist, einen Neuantrag zu stellen. Das Problem ist, dass der Leistungsanspruch vom Erstantrag erlischt. Der erste Antrag liegt in diesem Moment meist mehrere Monate zurück. „Der Anspruch gilt dann erst ab Neuantrag. Damit sparen die Kassen unheimlich viel Geld“, erklärt der Experte.
Oft ist es die Angst vor den mit einer Klage verbundenen Kosten, die viele Antragsteller abschreckt. Dabei werden die Kosten für das Klageverfahren fast immer von den Rechtsschutzversicherungen übernommen. Außerdem ist das Verfahren vor einem Sozialgericht immer gerichtskostenfrei, auch wenn der Antragsteller den Prozess verliert. Seine eigene Erfolgsquote vor dem Sozialgericht beziffert der Fachanwalt für Pflegerecht bei über 90 Prozent. „Vor Gericht haben sie das erste Mal einen wirklich unabhängigen Gutachter“, fügt er hinzu.
Abschließend warnt der Experte davor, während eines laufenden Klageverfahrens einen Neuantrag zu stellen. „Auch hier sehen die Pflegekassen einen Ausweg, für die zurückliegenden Monate nicht zu zahlen.“ Nach dem Interview mit Herrn Karpinski wird uns klar, dass in der Pflegeversicherung weitaus mehr Reformbedarf besteht als die bislang immer wieder verschobenen Erhöhungen von Pflegegeld oder der Begrenzung der Eigenanteile in der stationären Pflege. Der Fisch stinkt vom Kopf her: Die systematischen bürokratischen Hürden bedingen, dass die Probleme für Pflegebedürftige entstehen, bevor überhaupt Zugriff auf die von der Reform betroffenen Leistungen besteht.
Markus Karpinski arbeitet seit 1998 als Rechts- anwalt. Im Jahr 2003 gründete er seine eigene Kanzlei für Pflegerecht in Dortmund und Lüdinghausen. Er ist außerdem Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht und ist Dozent bei der Rechtsanwaltskammer Hamm.
Antworten auf die häufigsten Fragen
Die Pflegereform ist am 01.01.2022 in Kraft getreten.
Ja, die Pflegesachleistungen wurden um fünf Prozent erhöht.
- Pflegegrad 2: 724 Euro statt 689 Euro
- Pflegegrad 3: 1.363 Euro statt 1.298 Euro
- Pflegegrad 4: 1.693 Euro statt 1.612 Euro
- Pflegegrad 5: 2.095 Euro statt 1.995 Euro
Die coronabedingte Sonderregelung für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch wurde nicht verlängert. Somit gilt seit dem 01.01.2022 wieder das Leistungsbudget von 40 Euro.
Pflegepersonal soll durch die Pflegereform besser entlohnt werden und mehr Verantwortung erhalten. Außerdem sollen nur noch Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste eine Zulassung erhalten, die ihr Personal "nach Tarif oder tarifähnlich" bezahlen.
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